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29.12.2003) Schon als ich "Das
dicke DDR-Buch" vor kurzem zum ersten Mal in der Hand hielt, war
ich entt�uscht: Unter "dick" stelle ich mir etwas anderes vor.
Beispielsweise ein Buch vom Format des
Heinrich VIII von Elizabeth
George, das in seiner Taschenbuchausgabe stattliche 1332 Seiten hat.
Das "dicke" DDR-Buch des Eulenspiegel-Verlags bringt es eben mal auf
223 Seiten.
Na
ja, vielleicht wiegt der Inhalt den mageren Umfang wieder auf, denn
Quantit�t ist ja nicht unbedingt Qualit�t...? Aber auch hier
ziemliche Entt�uschung: Was f�r mich ein breit fundiertes Faktenbuch
sein k�nnte, ist "DDR light": Ein wenig hiervon, ein bi�chen davon,
nichts Tiefgreifendes, aber daf�r voll im Trend der dieses Jahr so
aufdringlichen "Ostalgie"-Welle. Zugegeben: Dieser Trend half vor
allem auch im Westen, die DDR, bei vielen bis dato terra
incognita, zu entmystifizieren und einer breiten
Alt-BRD-Bev�lkerung n�herzubringen. Und hierzu k�nnte auch das
besprochene Buch ein wenig helfen.
Aber eben nur ein wenig. Denn was bei
diesem Titel zugegebenerma�en recht unterhaltsam im ersten Teil
fast bel�chelnd erz�hlt wird, etwa da� es - man glaubt es kaum - in
der DDR viele Feiertage gab oder auch eine Bev�lkerung, Orden und
Auszeichnungen sowie Zeitschriften und Zeitungen, l��t eben genau
dieselben Schattenseiten aus, die bei den auf allen Fernsehsendern
laufenden Ostalgie-Shows ebenfalls in der Erinnerung nicht zu
existieren schienen. Eine einzige Seite weist auf die Tatsache
hin, da� es in der DDR eine Grenze gab. Wie lange sie war, woran sie
grenzte und da� sie zwei verschiedene "Weltsysteme" voneinander
trennte. Aber genau die Tatsache, da� die Grenze der DDR zur BRD
einzigartig und das auf ganz unmenschliche und perfide Weise, wird mit keinem Wort erw�hnt. Dann k�nnte man es
auch gleich ganz sein lassen. Denn da� ein Staat Grenzen hat, ist
wohl keinen Satz wert.
Teil Zwei: Eine chronologische
Auflistung von historischen Ereignissen (pro Jahr je zwei Seiten)
gibt einen �berblick vor allem �ber kulturelle und sportliche
Ereignisse. Dazwischen finden sich eingebaute Witze, und der
DDR-Humor verr�t nat�rlich viel dar�ber, wie die Bev�lkerung die
politischen und wirtschaftlichen Unzul�nglichkeiten empfand. Doch
auch hier: Mauertote und Stasi-Unterdr�ckung ist den Autoren keine
einzige Erw�hnung wert. Daf�r erf�hrt man, da� zum 1. Januar 1975
s�mtliche Sonntagsausgaben von Tageszeitungen wegen Papiermangels
eingestellt wurden.
Im dritten Teil, der Stra�e der
Besten - angelehnt an einen Begriff bekannt aus den
sozialistischen DDR-Betrieben -, finden sich interessante
Kurzbiographien von DDR-Pers�nlichkeiten vor allem aus Kultur und
Sport.
Doch schon ein Blick in den
Kuriosit�tenkabinett genannten vierten Abschnitt zeigt, da�
meine anf�nglich recht geringe Meinung zu diesem Buch gerechtfertigt
ist: Die ehemalige staatliche DDR-Fluglinie INTERFLUG als "die
vermutlich sicherste Luftverkehrsgesellschaft der Welt" zu
bezeichnen, w�re zu sozialistischen DDR-Zeiten wohl angebracht
gewesen. Doch schon eine klitzekleine Recherche im Internet h�tte
gezeigt, da� nicht, wie im Buch behauptet, lediglich ein einziges
Flugzeug der INTERFLUG abgest�rzt und ein Mal ein Flugzeug beim
Start in Berlin-Sch�nefeld ver�ngl�ckt war. Vielmehr gab es
mindestens acht Unf�lle (
Quelle), bei denen immerhin weit �ber 200 Menschen den Tod
fanden und nicht, wie angegeben, 156 - ganz in der Tradition des
sozialistischen Umgangs mit den eigenen Problemen? Die wurden
n�mlich immer geflissentlich verschwiegen. Im vorliegenden Fall ist
es mindestens genauso schlimm: Die Tatsachen sind dem Autor des
Buchs schlicht nicht bekannt...
Fazit
Das Buch ist reichlich bebildert und
gibt dadurch wenigstens einen visuellen Eindruck von der DDR - das
sind die zwei Sterne in meiner Bewertung. Es kann insgesamt dennoch
nicht �berzeugen. Es scheint, mit hei�er Nadel gestrickt, dem
Ostalgie-Kult hinterherlaufen zu wollen, statt dokumentarisch
umfassend und seri�s zu informieren. Das hei�t nicht, da� man ein
solches Thema nicht auch mit einem gesunden Schu� Unterhaltung
garnieren kann. Andererseits zeigt es wie selten ein Buch vor ihm
auf, wie "potjomkinsch" (Stefan Wolle) die DDR doch in Wirklichkeit
war. Und Das dicke DDR-Buch f�hrt diese Tradition bestens fort.
Meine Empfehlung f�r Interessierte,
die das Leben in der DDR wirklich kennelernen m�chten:
Stefan
Wolles "Die heile Welt der Diktatur" (die Rezension dieses
Buches k�nnen Sie
hier
lesen.) Da werden Sie geholfen.
Meine Bewertung:
(2 von 5 Sternen) |
"Das
dicke DDR-Buch". Erschienen im Eulenspiegel Verlag, Berlin, 2003.
223 Seiten, gebunden.
Website:
www.eulenspiegel-verlag.de . Preis: 19,90 � |
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